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12.05.2022 Kategorie: Wort

Das Lied von der Freiheit

Am Ufer des Roten Meeres stehen sie und spüren den feinen Sand unter ihren Füßen. Ist er nicht entstanden aus hartem, unverrückbarem Felsgestein, ausgewaschen und zerkleinert vom Wasser der Jahrmillionen? Jetzt fühlt er sich an wie der weichste und edelste aller Teppiche.

Sie stehen endlich auf festem Grund. So glücklich sind sie. Und so erschöpft. Von der anstrengenden Flucht. Von der Angst, dass die wogenden Wellen sie zuletzt doch noch verschlingen würden. Von der schweren Last, die der lange Kampf um die Freiheit  ihnen auferlegt hatte.  Unter ihr haben sie gelernt, gemeinsam die Hoffnung zu hüten und sich immer neu Kraft schenken zu lassen. Daran sind Tyrannei und Unterdrückung zerbröselt wie Staub, den der Regen fortwäscht.

Sie stehen am Ufer des neuen Landes namens Zukunft. Unsicher die Aussichten, doch auch unvergleichlich. Das spüren sie alle, Kleine und Große. Die Blicke schweifen klarer und weiter, die Körper richten sich auf, die Seelen entfalten sich. Aus ihrer Mitte beginnt es zu singen: „Meine Stärke und mein Lied ist Gott; er ist für mich zum Retter geworden.“

Vor über dreitausend Jahren, so erzählt es die Bibel (2. Buch Mose 15)  hat Mirjam als eine der ersten das Lied von der Freiheit angestimmt. Erst haben die Israeliten mitgesungen, die aus der Sklaverei der Ägypter gerettet wurden. Dann fielen immer mehr Stimmen ein, aus allen Teilen der Welt, über Jahrhunderte bis heute. Klare Stimmen, laute, leise, ängstliche, brummelnde, wütende, staunende, wortlose, überirdisch schöne Stimmen in allen Sprachen der Schöpfung.

Der kommende Sonntag heißt in der evangelischen Kirche „Kantate“ -  „Singt!“. In diesen Wochen ist das auch eine Aufforderung, mit Herzen, Mund und Händen  einzustimmen in das Lied von der Freiheit.

Beitrag von Pfarrerin Petra Rau