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16.03.2020 Kategorie: Wort

Steh auf und geh!

Im Schutz der Klostermauern stehen wir am Morgen im Garten. Der Himmel ist blau, die Vögel singen, auf dem Gras liegt noch Tau. Wir stehen im Kreis, manche barfuß, eine sitzt im Rollstuhl. Gehmeditation: „ Als Kind haben Sie sich auf die Füße gestellt und Ihren ersten Schritt getan. Wie war das? Was brauchte es? Nehmen Sie sich Zeit zum Spüren. Und dann: Tun Sie den ersten Schritt.“

Ich staune, was für Muskeln nötig sind, um einen Schritt tun zu können. Ich spüre, wie klein die Fläche meiner Fußsohlen ist, die meinen Körper trägt. Und ich sehe, wie die Frau im Rollstuhl auf die Füße kommen will, wie sehr sie sich anstrengt. Langsam, unsicher, wahrscheinlich mit Schmerzen erhebt sie sich. Ihr Mann hält und unterstützt sie. Dann steht sie da! Für einen großen Augenblick. Staunend. Kraftvoll. Noch heute bin ich froh, dass ich diesen Moment im Leben der Frau im Rollstuhl sehen und teilen konnte. Denn ich weiß: Ich sah ein Wunder!

In diesen Tagen feiern wir an vielen Orten Gottesdienst unter dem Motto: Steh auf und geh. Jesus sagt diesen Satz zu einem Mann, der seit 38 Jahren gelähmt ist. Die Begegnung mit Jesus stellt diesen Mann  tatsächlich auf die Füße. Er geht umher, heißt es in der Bibel. Frauen aus Simbabwe haben das Motto gewählt und den Gottesdienst gestaltet. Sie teilen ihre Hoffnung auf ein besseres Leben, auf Heilung und gesellschaftliche Veränderungen in ihrem Land mit uns. Und stellen uns mitten hinein in die Lebensphilosophie des südlichen Afrikas: Ubuntu. Das meint: du bist Teil eines Ganzen. Weltweit. Nächstenliebe hängt von dir ab. Gemeinsinn trägt dein Gesicht. Niemand ist nur für sich. Das Motto lautet: Ich bin, weil Du bist.

Menschen, die mir begegnen, nicht als Gegenüber, sondern als Grund meines eigenen Lebens zu sehen, finde ich herausfordernd. Dann haben sie große Bedeutung für mich. Dann zeigen sie mir Möglichkeiten zu leben, die meine eigenen übersteigen können. Ich kann an ihnen leben lernen. Und Wunder sehen. Wie bei der Frau, die sich auf ihre eigenen Füße gestellt hat. Und ich kann Mut gewinnen für eigene Schritte, die anstehen. Kann Großes erwarten. Gottes unendliche Kraft in meinem Leben.

Beitrag von Pfarrerin Kirstin Müller