Eigentlich wollte ich nach dem Ausnahme-Frühjahr nicht mehr jeden Abend die Tagesschau sehen. Doch dann stiegen die Fallzahlen und ich suche wieder täglich verlässliche Orientierung.
Eigentlich wollte ich mich nicht mehr ärgern über Menschen, die einen Meter fünfzig für Auslegungssache halten. Doch dann stiegen die Fallzahlen und die Sorgenkurve auch.
Eigentlich wollte ich statt Sorgen Ruhe bewahren, doch nun ist eingetroffen, von dem viele bis vor kurzem sagten, es wäre unwahrscheinlich: die zweite Welle der Pandemie.
„Eigentlich“ ist eines der meistgebrauchten Wörter dieser Tage. „Eigentlich… wollten wir für eine Woche nach Spanien fliegen, hätten meine Eltern groß ihre Goldene Hochzeit gefeiert, wäre am Wochenende das Megakonzert“.
„Eigentlich“ erzählt in diesem Herbst davon, wie das gerade neu geprobt vertraute Leben sich wieder dreht in den Alarmzustand. Wie Verzicht und Angst zunehmen. Wie es wieder und weiter nötig ist, alle Gesundheits-Regeln zu beachten, die ja für sich sprechen. Wie schwer das ist. Weil keine Regel den Ausgang garantieren kann.
„Gott hat dich wissen lassen, Mensch, was gut ist und was er von dir erwartet: Halte dich an das Recht, sei menschlich zu deinen Mitmenschen und lebe in steter Verbindung zu deinem Gott.“ (Micha 6,8). Eine viel ältere Grundregel, die für sich spricht. Eigentlich.
Das „Eigentlich“ dieses Herbstes und des Biblischen Wochenspruchs haben einen gemeinsamen Fluchtpunkt: Sie mogeln sich an der Einsicht vorbei, dass es im Leben manchmal hart auf hart kommt, ohne dass man es sich ausgesucht hätte. Dass man trotzdem mitten drin ist und durch muss. Und es nicht Luxus oder die Angelegenheit weniger ist, sondern eine gemeinsame Überlebensstrategie, danach zu fragen, was wirklich wichtig ist. Jetzt, hier, für mich selbst, für meine nahen Menschen, für alle, die meinen Weg kreuzen in meiner Stadt und die wiederum irgendwie verbunden sind mit denen da draußen in aller Welt.
Hinter dem Wochenspruch steht das Vertrauen, gehalten und begleitet zu sein. Ohne jede Ausrede und in allen Unbequemlichkeiten. Sogar dann, wenn es ganz grauenvoll werden könnte. Dem zu entsprechen mit Haltung und Handeln, kann von Fall zu Fall eine Suchbewegung nötig machen. Im Moment ist die Formel „AHA+L“ eine erste Anwendungsmöglichkeit. Das schafft Spielraum für weitere Einfälle, menschlich und lebensschützend unterwegs zu sein.

