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03.04.2025 Kategorie: Wort

Dicke Luft

Staubwolken über Staubwolken. Überall hängen sie in der Luft. Ich höre nur noch husten, sehe aber nichts. Hey, was war das? Oder besser gesagt, wer war das? Da hat mich doch jemand angerempelt. „Ey du, zeig dich. Und entschuldige dich wenigstens.“ Nichts passiert. Ich wedele mit meinen Händen vor den Augen herum. Wenn ich doch nur sehen könnte.

Dann treffe ich auf jemanden. „Du warst das also.“ „Ich? Ich habe doch gar nichts gemacht.“ „Klar, du musst das gewesen sein, sonst sehe ich hier ja niemanden.“ „Ich war das nicht. Und was soll ich überhaupt gemacht haben?“ „Na du hast mich angerempelt.“ „Hab‘ ich nicht.“

Dicke Luft. Und jetzt? Wer hat Recht? Jeder behauptet das natürlich von sich selbst. Und nun? Zwei Seiten. Die, die ich sehe. Die, die der andere sieht. Und nun? Da gibt es vielleicht noch eine dritte Seite. Nämlich die, die wir beide nicht sehen.

Da braucht es einen Richter, jemand, der es von außen beurteilen kann. Eine Justiz. Einen Mediator oder Schiedsrichter.

So wie in der Situation beschrieben, geht es manchmal auch in mir selbst zu. Manche würden es vielleicht mit dem Engelchen und dem Teufelchen auf der Schulter beschreiben, wie es ja so oft in Filmen oder der Werbung gezeigt wird. Ich denke da eher an meine Gedanken und Gefühle in mir drin. Da sind Entscheidungen zu treffen. Welche ist die richtige? Oder es sind Konflikte in meinem Umfeld. In meiner Familie, im Freundeskreis. Und dann herrscht dicke Luft. Einfach, weil keiner nachgeben kann bzw. will. Weil ich nur meine eigene Ansicht für richtig halten will und die des anderen ja dann nur falsch sein kann.

Beruhigend ist doch dann irgendwie zu wissen: das gab es auch schon zu Jesu Zeiten. Auch hier wurden Meinungsverschiedenheiten nicht immer vernünftig ausdiskutiert. Auch da haben Menschen gesagt, was ihnen wichtig ist und das nicht immer im vornehmen und angemessenen Ton. Und dass wir verschiedene Meinungen haben und sie auch äußern, ist gut. Und dass dabei auch dicke Luft entstehen kann? Ok. Davor brauchen wir uns nicht zu fürchten. Nur sollten wir nicht vergessen, dass diese dicke Luft auch mal schnell die Sicht auf den anderen vernebeln und wir nicht mehr klar sehen können.

Der Jemand vorhin hatte mich übrigens gar nicht angerempelt. Ich bin einfach gegen eine Laterne gestoßen. Nachdem sich der Nebel verzogen und ich wieder klare Sicht hatte, konnte ich das erkennen und habe mich auch beim anderen entschuldigt.

Manchmal ist es gut abzuwarten, bevor man urteilt, aber manchmal ist es auch wichtig sofort laut zu widersprechen. Und wieder ein anderes Mal ist es gut, jemanden zu haben, der einem hilft die Entscheidung für das ein oder andere zu treffen. Die Sicht, die ich nicht sehen kann.

Beitrag von Pfarrerin Sandra Jang