Das Beten ist die ehrlichste Weise, sich mit seinem ganzen Leben zur Sprache zu bringen - ganz echt. Nichts mehr, was ich vor Gott nicht aussprechen könnte oder verbergen müsste: alles darf auf den Tisch kommen. Darum ist das Gebet alternativlos, sich selbst auf den Grund zu gehen. Wieviel Verlust, wo es unterbleibt. Wird da nicht tendenziell vieles oberflächlich und äußerlich? Ohne das Tiefengespräch mit dem, der uns sieht und kennt neigen wir doch dazu, uns selbst viel von uns zu verheimlichen. Wem können wir denn sonst unser wahres Gesicht zeigen? Wie und wo machen wir uns ganz ehrlich? Wir erinnern 2020 an den 75. Todestag eines Mannes, dessen Worte bis heute tiefgehend und überaus „nahrhaft“ nachwirken: Von guten Mächten…! Und dieser Dietrich Bonhoeffer schenkte uns auch Einblicke in sein Gebetsleben. Eines davon tut es mir besonders an, weil ich spüre, wieviel offene Redefreiheit dabei erlebt wird, wo ich vor meinem Schöpfer alles zugeben kann: Gott, zu dir rufe ich am frühen Morgen, hilf mir beten und meine Gedanken sammeln; ich kann es nicht allein. In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht; ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht; ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe; ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden; in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld; ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich. Wie wunderschön, wenn ich endlich die Gelegenheit finde, mir alles vom Herzen zu reden. Wie herrlich-ehrlich, wo sich meine Masken und Fassaden erübrigen. Das Große ist nicht dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein. Sören Kierkegaard
So unverstellt wie nur möglich gebe ich mein verborgenes Leben zu und lasse dann Gott in mir arbeiten, wenn er schweigt oder redet! Da mag es dann so sein: Siehe, dir gefällt Wahrheit, die im Verborgenen liegt, und im Geheimen tust du mir Weisheit kund. Psalm 51, 8 Und wie nötig hätten wir´s, es sei denn, sie könnten dieser Zeitdiagnose nicht beipflichten: Für Ehrlichkeit ist kein Platz in der Gesellschaft. Es geht nur ums Funktionieren und angepasst sein. Ehrlichkeit wird zu oft nur im Duden groß geschrieben. Erinnern sie sich noch an das Sehnsuchtslied honesty von Billy Joel? Und gemäß dem Gesetz, dass sich im Gebet zuerst die Betenden verändern, soll es dann auch dazu führen, dass wir wieder mehr Offenheit und Ehrlichkeit im Leben zurückgewinnen. Wäre das nicht auch eine wünschenswerte gesellschaftliche Veränderung zum Positiven? Was im stillen Kämmerlein beginnt darf dann getrost in alle Räume weiter Einzug halten und darum bleibt es aktuell: Herr, lehre uns beten! Ganz ehrlich.

